„Das Schlimmste in allen Dingen ist die Unentschlossenheit.“
Napoleon Bonaparte
Beginnt man sich mit einer agilen Methode wie Scrum zu beschäftigen, dann lernt man relativ schnell, dass viele Dinge vom Team entschieden werden. Das hört sich im ersten Moment für die Team Mitglieder sehr gut an, bedeutet aber auch, sich einmal mit dem Thema Entscheiden zu beschäftigen.
Entscheiden ist nichts aufregend Neues. Jeder Mensch trifft im Durchschnitt 20000 Entscheidungen pro Tag. Das startet mit einen Dutzend Entscheidungen über das Aufstehen, dem T-Shirt des Tages, dem zweiten oder dritten Kaffee vor der Arbeit und endet häufig mit der Netflix Serie am Abend.
Die Frage, die sich beim Thema agilen Entscheiden auftut, Wer entscheidet eigentlich Was, Wann und Wie?
Agiles Entscheiden bezieht sich auf den Entscheidungsprozess innerhalb eines Team. Es muss sich dabei nicht zwangsläufig um ein Entwicklungsteam handeln, es kann z.B. auch um ein Sales Team, ein HR Team oder irgendwelche Organisationseinheiten handeln. Notwendig ist nur, dass die Teams eine iterative und kollaborative Herangehensweise pflegen, bei der Entscheidungen gemeinsam getroffen werden, um die Effizienz und Qualität der Ergebnisse zu verbessern.
Prinzipien
Im agilen Entscheidungsprozess werden die fünf folgenden Prinzipien beachtet:
Transparenz Jeder im Team sollte verstehen, wie Entscheidungen getroffen werden und welche Auswirkungen sie haben.
Verantwortung Teammitglieder übernehmen gemeinsam die Verantwortung für Entscheidungen. Daher muss jeder die Möglichkeit erhalten, seine Meinung zu äußern und am Entscheidungsprozess teilzunehmen.
Flexibilität Agile Entscheidungsprozesse ermöglichen eine schnelle Reaktion auf Änderungen und neue Erkenntnisse. Entscheidungen können aufgrund von Feedback oder neuer Informationen angepasst werden.
Iteration Entscheidungen werden in kleinen Schritten getroffen und kontinuierlich überprüft. Das Team kann auf der Grundlage von Rückmeldungen Erfahrungen sammeln und Anpassungen vornehmen.
Effizienz Agile Entscheidungen werden im letzten verantwortungsvollen Moment getroffen. Damit ist sichergestellt, dass genügend Informationen verfügbar sind und unnötiger Aufwand vermieden. Entscheidungen werden so spät wie möglich und so früh wie nötig getroffen.
Damit ist die Frage nach Wer und Wann schon fast beantwortet, aber ganz so einfach ist es im agilen Umfeld auch nicht.
Nicht jede agile Organisation ist wie die andere und je nach Größe, Struktur, Selbstverständnis und Grad der Agilität sind die Freiheitsgrade der einzelnen Mitarbeiter bei Entscheidungen unterschiedlich. So werden nur selten alle Mitarbeiter an strategischen Firmenentscheidungen beteiligt oder bestimmen das Budget ihrer Abteilung. Andererseits sollten die operativen Entscheidungen in einer agilen Organisation immer bei den Betroffenen (siehe auch Von Schweinen und Hühnern) als den Experten liegen.
Freiheitsgrade
Es gibt unterschiedliche Freiheitsgrade in der Entscheidung für einen Mitarbeiter. Manche Autoren sehen sieben Freiheitsgrade, einfacher wird es mit den folgenden vier.
Ansagen Der Mitarbeiter hat die Entscheidung des Vorgesetzen zu akzeptieren.
Konsens Der Vorgesetzte sucht mit den Mitarbeitern eine gemeinsame Entscheidung.
Beraten Der Vorgesetzte teilt den Mitarbeitern seine Meinung mit und überlässt ihnen die Entscheidung.
Delegieren Der Vorgesetzte überträgt den Mitarbeitern die Entscheidung.
Für operative Entscheidungen sollte nur das Delegieren genutzt werden, für strategische Entscheidungen können alle Freiheitsgrade gewählt werden.
Die Ansage gibt es in einer Reihe von Grautönen. Angefangen beim reinen Taylorismus, über das Erklären der Entscheidung oder dem Konsultieren der Mitarbeiter vor der Entscheidung. Erklären und Konsultieren versuchen die Härte der Ansage abzumildern, aber können auch das Gegenteil bewirken. Findet ein Mitarbeiter augenscheinlich kein Gehör bei dem Vorgesetzten, dann wird die Konsultation als Farce empfunden.
Auch das Beraten hat einen Beigeschmack, da die Meinung des Vorgesetzen einen Anker für die Entscheidung des Teams setzt.
Jeder Mitarbeiter hat je nach Position, Thema oder Abteilung bei Entscheidungen unterschiedliche Freiheitsgrade. Es sollte jederzeit Transparenz darüber herrschen, damit es nicht zu unnötigen Reibungspunkten in der Organisation kommt.
Methoden
Bei einer Entscheidung im Team kann man auf ganz unterschiedliche Weise zum Ergebnis kommen. Im folgenden sind acht bekannte Methoden aufgeführt. Nicht jede Methode macht in jedem Kontext Sinn und es ist immer besser die Methode im Vorfeld einer Entscheidung festzulegen. Nichts ist unangenehmer als im Streit um die Sache, noch um die Methodik zu feilschen.
Abstimmen Der Klassiker der Gruppenentscheide. Schon die alten Griechen nutzen ihn für die Demokratie. Es wird offen oder geheim abgestimmt, mit Handzeichen, Karten, Gesten oder Punkten.
Argumentieren Das Thema wird diskutiert und das überzeugendste Argument gewinnt.
Konsens Hier wird der gemeinsame Nenner zum Thema gesucht.
Kompromiss Ist kein Konsens möglich, dann wird die Option mit den wenigsten Wiederständen gewählt.
Konsultativer Einzelentscheid fühlt sich das Gremium nicht kompetent genug für eine Entscheidung, dann wird die Entscheidung an die Experten im Team delegiert.
Konsent Eine Entscheidung für einen Vorschlag ist automatisch getroffen, wenn es kein stichhaltiges Gegenargument gibt.
Veto Die Trumpfkarte für den Vorgesetzten. Möchte er eine Entscheidung nicht, dann kann er sie ohne weitere Gründe verwerfen.
Vertagen Manchmal ist es besser nicht zu entscheiden. Wenn die Themen noch nicht durchdrungen wurden oder die vorgelegten Vorschläge nicht überzeugen, dann sollte die Entscheidung nicht vorschnell gefällt werden.
Argumentieren und Konsens funktionieren gut in kleinen Gruppen. Bei sehr vielen Beteiligten kann es zu Marathonsitzungen mit hohen Frustrationspotential kommen. Außerdem erhalten rhetorisch gewandte, beliebte oder gefürchtete Kollegen einen Vorteil, der nicht der Sache, sondern ihrer Person geschuldet ist.
Der Konsent fördert schnellere Entscheidungsfindung, weil Bedenken eine Entscheidung nicht aufschieben. Nur begründete Einwände blockieren die Entscheidung. Das Veto ist ein zweischneidiges Schwert. Zwar ermöglicht es dem Vorgesetzen sich durchzusetzen, es untergräbt aber mit jedem Einsatz das Vertrauen in die agile Ausrichtung des Unternehmens.
Der Konsultativer Einzelentscheid führt zu Problemen, wenn immer die gleichen “Experten” die Entscheidung treffen. Tatsächlich sollte die Wahl der Experten für ein Thema, von Kenntnissen und Können getragen, im Konsens erfolgen. Findet sich immer der selbe Entscheider, dann fehlt dem Team möglicherweise das Interesse oder es existiert ein heimlicher Teamleiter.
Das Vertagen verträgt sich gut mit der agilen Arbeitsweise, solange noch eine verantwortungsvolle Entscheidung getroffen werden kann. Immer weiter vertagen kann aber auch auf Analysis Paralysis hinweisen.
Fallstricke
Wenn Entscheiden so einfach wäre, würde es ja jeder versuchen. Häufig stehen sich die Beteiligten selbst im Weg ohne es zu ahnen. Dabei haben wir es mit gruppenspezifischen Verhaltensweisen und kognitiven Verzerrungen zu tun. Beides überaus faszinierende Felder, mit denen sich jeder einmal beschäftigen sollte. Kognitive Verzerrungen sind, lapidar gesprochen, Abkürzungen, die unser Verstand verwendet um Energie zu sparen. Leider neigen diese Abkürzungen dazu für uns Entscheidungen zu treffen, die nicht immer sinnvoll sind. Wer diese Verzerrungen kennt, kann diese ausnutzen, um beispielsweise Konsumenten zu verführen.
Werden drei Vorschläge auf den Tisch gelegt, dann könnte es vorkommen, das zwei Vorschläge ähnlich sind aber einer von beiden recht unattraktiv. Dann nutzt jemand vielleicht den Decoy Effekt. Wir tendieren zum attraktiveren der beiden ähnlichen Vorschläge und nicht zum dritten Vorschlag. Deshalb nehmen wir auch immer das Mega-Menu und nicht das Maxi-Menu, obwohl wir wenig Appetit haben.
Der Anker Effekt wurde oben schon erwähnt. Äußert der Projekt Leiter seine Meinung über den Aufwand, dann orientiert sich das Team unbewusst an dieser Zahl. Am Ende ist man dann erstaunt, dass nicht nur der Projektleiter, sondern auch das Entwicklungsteam bei der Schätzung keine tragfähige Schätzung abgab.
Der Dunning-Kruger Effekt und der Survivorship Bias lassen echte Experten in Diskussionen schlechter aussehen als andere Teilnehmer. Dann verlassen wir uns auf die weniger qualifizierte Meinung und kommen zu klassischen Fehlentscheidungen.
Ein wichtiger Grund für schriftliche Aufzeichnungen sind der Hindsight Bias, Recall Bias und der Availability Bias. Unsere Erinnerung ist das, was unser Verstand daraus macht und gerade unsere Vorhersagen ändern wir in der Retrospektive gerne in Richtung des eingetretenen Ereignisses. Da ist es doch schön nachlesen zu können, was man damals tatsächlich meinte. Tagebuchlesern ist das Phänomen vermutlich sehr vertraut. Der Availability Bias sorgt dafür, dass wir Wahrscheinlichkeiten nicht auf Basis von Fakten sondern Beispielen aus unseren Erinnerungen gewichten.
Wer sich nicht beeinflussbar hält durch Kognitive Verzerrungen, mag dieses glauben, ist dann aber ein Opfer des Bias Blind Spot.
Ein letzter Fallstrick bei der Entscheidungsfindung in Gruppen ist das Bikeshedding auch bekannt als Parkinson’s Law of Triviality. Dazu muss nicht viel erzählt werden, denn jeder kann es in seinem nächsten Meeting selber prüfen. Triviale Themen werden sehr viel intensiver, länger und von sehr viel mehr Beteiligten diskutiert als wirklich komplexe und dringende Themen. Wichtiger Rat an dieser Stelle, Triviales nicht mit Wichtigen vermischen. Häufig muss über Triviales auch nicht im größeren Rahmen entschieden werden, weil nicht wichtig ist was entschieden wurde, sondern das überhaupt entschieden wurde.